Philosophisches

rubrik_philosophisches260

Fürchtet Euch nicht und geht dem Messen nicht an den Haken!

Denn wenn man so will, dann hat auch Weihnachten mit dem Messen zu tun. Schließlich mussten die historischen Zieheltern des Heilandes zur Volkszählung auf Reisen gehen … „ein jeglicher in seine Stadt …“. Sie mussten also, um der staatlich angeordneten Zählung wegen ziemlich viel Aufwand betreiben und daran hat sich bis heute prinzipiell nichts geändert. …

Wir von SocialCert möchten dazu beitragen, dass immer mehr Menschen, mutig Verantwortung für das Menschliche und ihre eigene Urteilsbildung übernehmen, anstatt aus Angst und dem Druck zur Anpassung Messsysteme zu füttern, von denen wir wissen, dass sie keine Verantwortung generieren. Zur Weihnacht schicken wir Ihnen darum einen Artikel, der Sie argumentativ stärken möchte, das Ihre zu vertreten und nicht an den Haken von Prüfungsmethoden zu gehen, die Ihre Ziele nicht fördern.

Verbreitete Annahme: Man bekommt durch Messen Sicherheit.

Die Idee, dass man erst denkend zum Menschen wird und durch Denken Sicherheit gewinnt ist so alt wie die Aufklärung. Parallel zum Siegeszug des Maschinenzeitalters sollte als wissenschaftlich das gelten, was durch Anwendung ein und derselben Methode immer notwendig zum gleichen Ergebnis führt, intersubjektiv, wiederholbar und nachvollziehbar. Die Vergleichbarkeit kam erst viel später dazu. Und Immanuel Kant selbst war es, der in seiner Kritik der reinen Vernunft nachweisen wollte, dass Newtons Mechanik das perfekte Beispiel für eine objektive Wissenschaft ist. So geschah es, dass von den vier von ihm beschriebenen Verstandeskategorien (Quantität, Qualität, Relation und Modalität) nur diejenige für wissenschaftliche Zwecke als dienlich (an)erkannt wurde, die Messbares erzeugt, sprich in Zahlen ausgedrückt wird: Die Quantität. Denn allein mit Ihr lässt sich eine eindeutige ideelle Nachvollziehbarkeit erzeugen. So haben wir es bei allen Rankings dieser Welt mit schlichten Noten zu tun, die unserer erwachsenen Urteilsfähigkeit schmeicheln. Schließlich haben wissenschaftliche Methoden für uns das Komplexe in Einfachheit übersetzt.

Zahllose Beispiele für das Verwechseln der Komplexitätsdimensionen

Doch Beispiele dafür, dass man in sozialen und anderen Bereichen durch das Messen mitunter großen Unsinn erzeugt, sind zahlreich.

Nachdem zum Beispiel die sogenannten Pflegenoten für Altenheime dazu geführt haben, dass alle Heime ihre Anpassungsfähigkeit an ein sinnloses vergleichendes externes Bewerten unter Beweis gestellt haben und eine Durchschnittsnote von 1,3 erreichen, wird 2019 der Pflege TÜV 2 unter dem Paradigma der von niemandem benötigten Vergleichbarkeit über 10500 Einrichtungen der stationären Altenhilfe differenzierter und konsequenter zur Tat schreiten. Ab da könnten alle Einrichtungen gezwungen werden, ein Datengenerierungsprogramm mit ihrem zur strukturierten Informationssammlung (SIS) degenerierten QM System zu bedienen. Mit dem Trick einer Relation zum Durchschnittswert werden so Bestnoten für alle nun systematisch ausgeschlossen. Nur so scheint die „wissenschaftlich“ begründete und gesetzesnotwendige Vergleichbarkeit sicher gestellt.

Im kommenden Jahr sollen laut Bundesteilhabegesetz die Erfolge der Integration gemessen, sprich in Zahlen ausgedrückt werden, damit Vergleichbares entsteht. Aber dass Werte und Zahlen nicht kompatibel sind, das haben die meisten von uns in der Schule schmerzlich erfahren. Das Wesen von etwas geht verloren, wenn man es in Zahlen verwandelt.

Wie aber kommen wir da raus?

Wahrscheinlich am ehesten, indem wir uns die Absicht der Zahlen anschauen. Sie sollen Sicherheit schaffen! Wir wollen Unsicherheit vermeiden, weil wir Angst vor der Angst haben. Angst ist ein Gefühl, und Gefühle, das haben wir ebenfalls früh gelernt, machen Schwierigkeiten. Sie sind unwissenschaftlich und kommen bei anderen nicht gut an, weil sie uns überfordern. Und wenn oder weil ich meine Zugehörigkeit nicht riskieren möchte, fühle ich lieber nichts und denke nur eingeschränkt.

Denn wenn ich meine Denkvermögen umfassender nutze, sprich mich der anderen Verstandeskategorien erinnere, dann komme ich zu neuen Ergebnissen. Um meine Qualitäten verantwortlich zu gestalten brauche ich eine bewusste Zielsetzung und eine Steuerung (QM System). Um in meinen Beziehungen auf Augenhöhe zu handeln muss ich in Beziehung gehen. Mit meiner Absicht verantworte ich die Art und Weise, wie ich mich meinen Aufgaben stelle.

Natürlich dient das Messen weiterhin dem Quantitativen. Und: Ich kann mein Denken auch dazu nutzen, meine gängigen Bewertungen von Gefühlen in Frage zu stellen und das Denken selber auf sie anwenden.

Ist Angst tatsächlich ein Indikator für mangelnde Kompetenz, für fehlende Vorausschau, blockierend, unprofessionell und von Schwäche zeugend? Wenn ich Angst bewusst fühle, die Beschaffenheit der Angst wahrnehme, die Art erkunde, wie ich mit Angst in Beziehung trete, Weisen erforsche, wie ich sie nutzen kann – dann wird nicht nur mein Denken zu einem Wahrnehmungsorgan, sondern auch mein Fühlen zu einer Ressource.

Denn Angst ist ein Motor für Innovation, für Kreation und neue Möglichkeiten.

Bewusst fühlend, kann mir mein Denken helfen, zu unterscheiden, wo ich mich fühlend bewege. Handelt es sich um eine Emotion oder ein Gefühl? Emotionen rühren von etwas her, das in der Vergangenheit nicht zu Ende gefühlt oder von anderen, meist Autoritäten übernommen wurde. Darum kochen sie immer wieder auf und brauchen Heilräume. Gefühle dagegen haben ihren Anlass im Jetzt, können uns professionell dienen und wollen kommuniziert werden.

Fazit: Will man der Verabsolutierung von messbaren Ergebnissen nicht länger an den Haken gehen, dann brauchen wir den Mut, 1. verantwortlich und umfassend zu denken und 2. bewusst zu fühlen. Ein eigenes Qualitätsurteil kann nur entstehen, wenn ich bewusst wahrnehme, was in mir ist, um dann den Kontakt mit anderen bewusst zu gestalten. Denn so wie das Messen eine Reduktion auf Quantität nötig macht, so erfordert ein umfassendes, verantwortliches Urteilen ein bewusstes Fühlen.

… Maria und Josef wussten nicht, wo sie ihr Kind zur Welt bringen sollten und vermutlich hatten sie Angst. Und in und mit der Angst wurden sie kreativ, entdeckten die Futterkrippe der Tiere und nutzten deren wärmenden Atem. Angst lässt uns spontan neue Möglichkeiten dort entdecken, wo wir vorher keine sahen.

„Fürchtet Euch nicht!“ das sprechen nicht nur die Engel zu den Hirten auf dem Felde. Es ist die am häufigsten wiederholte Empfehlung der christlichen Heilslehre.

In diesem Sinne wünschen wir freudige Weihnachten und einen wachen, verantwortungsvollen Start ins neue Jahr!

 

Nach oben